Karl Wunderlich

EINE UNTERHALTUNG ZWISCHEN GAVIN RAIN*, KAPSTADT,
UND KARL WUNDERLICH, BERLIN

GR Lass mich mit einer Frage nach der Richtung beginnen,

die Du eingeschlagen hast. Du hast einen Abschluss in

Bildender Kunst, nutzt aber Schmuck als Dein Medium.

Wieso dieser Wechsel?

KW Dazu muss ich ein wenig ausholen, denn ich sehe darin

keinen Bruch. Meine Eltern arbeiteten in verschiedenen Museen.

Ich war in Ausstellungen und in Depots fast zu Hause. Ich war

seit frühester Kindheit von Artefakten,  Kunst und

Kunsthandwerk umgeben.

Als ich etwa fünf war, ließ mich mein Vater in seiner

Restauratoren-Werkstatt Pfeilspitzen aus Kupfer und Messing

hämmern. Ich kam schon früh mit der handwerklichen Seite

von Kunst in Berührung. In der Schule wurde mir klar, dass ich

Künstler werden musste. Alle Dinge, die ich damals so machte,

waren klein, wahrscheinlich weil ich kurzsichtig bin.

Ein Buch über japanische tosogu inspirierte mich dann,

vor dem Kunststudium Goldschmied zu werden. Erst später

wurde mir bewusst, was für eine glückliche Entscheidung das war.

Im Schmuck treffen sich alle Kunstformen in einem Medium.

Bildhauerei kann dabei sehr zwanglos mit Malerei und

Miniaturarchitektur gemischt werden. Für mich ist es also

die ideale Spielwiese.

GR Einige Deiner Sujets sind eher ungewöhnlich für Schmuck.

Warum diese Wahl und steht dahinter eine Aussage?

KW Menschliche Kommunikation findet über Archetypen und

Cliches statt. Deren Benutzung erleichtert das gegenseitige

Verständnis. Doch mich reizen die Brüche und Bedeutungslücken

von Archetypen.

Ich lasse die furchteinflössende Grosskatze gähnen statt brüllen

und zeige sexuell erschöpfte Götter. Ich ringe darum,

dafür einen Ausdruck zu finden, statt nur Staffage herzustellen.

Sonst ist man dann sehr schnell bei der millionenfachen Wiederholung

von angeblich Schönem, wie dem unvermeidlichen juwelenbesetzten

Schmetterling. Die langweilen mich unendlich.

GR Viele Deiner Arbeiten erzeugen das Gefühl von Alter

und vergangener Schönheit. Was sind Deine Gedanken dazu?

KW Eine meiner ersten bewussten Erinnerungen sind die

vom Feuersturm in Dresden schwarzgebrannten und beschädigten

Skulpturen und Fassaden, die in den siebziger Jahren

immer noch zu sehen waren. Die waren sehr beeindruckend.

Die Destruktion schaffte einen Raum, den ich mit meiner

eigenen Phantasie füllte. Dieses Gefühl kriecht noch immer

beim Arbeiten mit in die Stücke hinein.

Shibui nannte eine Bekannte aus Japan meine Stücke. Ich bin

nicht an dem Streben nach industrieller Perfektion,

das im Schmuckgewerbe die Norm ist, interessiert. Ich suche Ausdruck.

GR Lass uns mal für einen kurzen Moment über das Technische sprechen.

Wie werden diese Objekte gemacht?

KW Am Anfang zeichne ich. Später modelliere ich

grobe plastische Skizzen aus Plastilin und danach einen

detaillierten Gips in Originalgröße, der dann abgegossen werden kann.

Dieser Prozess erlaubt auch die Verwendung von Naturabgüssen, wie

bei den Nürnberger Goldschmieden der Renaissance, oder von anderen

Objects Trouveés wie in der Skulptur der klassischen Moderne.

In den letzten Jahren beschäftigt mich eher, was Cellini in seinen

trattati lavorare della minuteria nennt.

Das freie Ziselieren eines einzigen Metallbleches zur Vollplastik.

Das Model dient mir dann nur zur Orientierung. Ich mag, dass ich

direkt aus dem Metall erschaffe und dass mich darauf einlassen musste,

wie sich das Volumen der Miniatur-Skulptur unter den Hammerschlägen

langsam wie aus einer Flüssigkeit hebt. Physikalisch fließt das Metall

tatsächlich. Das gesamte Stück reagiert auf jeden einzelnen Schlag.

Dabei sind Korrekturen kaum möglich.

GR Wie Du Emaille und Steine verwendest, unterscheidet Dich

von Anderen – es ist ziemlich ungewöhnlich und speziell.

Kannst Du mir mehr darüber erzählen?

KW Mein Interesse an Geschichten und Mythen endet nicht

im Thema meiner Arbeit, es spiegelt sich auch in der Materialwahl.

Wie Ölfarben auf einer Leinwand sind Juwelen, Emaille und Metalle für

mich Träger des künstlerischen Ausdrucks und kein dekorierender

Selbstzweck. Rubine, orange Saphire oder Pink Ivory lösen bei mir

Bilder von Karavanen auf der Seidenstrasse, fetten Mogulen oder

afrikanischen Sklavenhändlern aus. Emaille verbinde ich  mit

magischen Fabelwesen der Gotik oder dem pudrigen

Dekolletée einer Hofdame.

Gold und Silber sind für mich immer Farbe und Bedeutungsträger.

Irogane, japanische Farblegierungen, auf denen durch künstliche

Korrosion gedämpfte Farbtöne entstehen, ergänzen die Palette.

Wenn Steine, wie die flüchtige Note eines Perfums zum Gesamteindruck

beitragen, das Werk nicht dominieren und erschlagen,

dann ist es perfekt. Deshalb liebe ich Steine mit natürlichen Defekten

oder krummen alten Schliffen. Alte Steine, deren Reflektionsvermögen

nicht mathematisch am Computer optimiert sondern im Schliff intuitiv

erfasst wurde, sind eher kleine abstrakte Skulpturen als moderne

optische Einheiten. Sie glänzen warm und schmiegen sich in

das Metall ein, anstatt brutal zu reflektieren.

Emaille, gerade, wenn es en ronde bosse benutzt wird,

hat eine plastische Qualität, der ich auf der Spur bin. Das Körperliche

des Glases ist so ganz anders als ein Anstrich mit Farbe.

(2015)

*Gavin Rain, Neo-pointillist Painter, Cape Town
(www.gavinrain.com)